Anstelle der Gioconda einen Schnurrbart zu verpassen, setzt sie eine Brille auf … Wär das nur alles! Von gewissen Details ist sie besessen, und sie gelingen ihr so gut, dass die Neugierde aufkommt, zu erfahren, ob sie diese nach der Natur zeichnet, so groß erscheint die Vielfalt das vertrauten Stücks. Eine nicht unbedeutende Frage, bedenkt man den geleisteten Einsatz.
Grundlage der dadahaften Gesten dieser Künstlerin bildet eine Bleistiftskizze auf Papier, die unter Beibehaltung der Originalmaße von 46 x 55 cm den „Ursprung der Welt“ von Gustave Courbet wiedergibt. Aber dort, wo der französische Maler den weiblichen Schoß ganz nature, um nicht zu sagen etwas zerzaust abbildet, gestaltet sie das Schamhaar mit solch hingebungsvoller Fantasie, dass dieses als seltsame Perücke erscheint, zum Schmuck des weiblichen Geschlechts, eines Elements, das stets klar und deutlich in seiner Fleischlichkeit immer gut sichtbar ist. Exzessiv in seiner Art, sich den Blicken darzubieten.
Michela Ghisetti (Bergamo, 1966), seit fast zwanzig Jahren in Wien ansässig, wo sie die begehrte Akademie der bildenden Künste absolvierte, hat also eine praktisch unerschöpfliche Untersuchungsreihe gefunden, die es ihr erlaubt, bemerkenswerte Musterkollektionen ganz besonderer Art zu erschaffen — im lambrosianischen Sinn genau gesagt. Unerschöpfliche Nachforschungen, betrachtet man die fantasievollen Frisuren aller Epochen und Stile in Verbindung mit dem formalen Variantenreichtum der weiblichen Natur.
Sie zeichnet äußerst geschickt mit Bleistift und Pastell und verfügt über einen sehr raffinierten Strich, um einen wirkungsvollen Naturalismus zu erzielen, den — wie wir glauben — der große Courbet, realistischer französischer Maler des 19. Jahrhunderts par excellence, sicher nicht verschmäht hätte.
Eine brandneue Serie von sechs dieser typischen Zeichnungen, fanden wir in einer Wiener Gemeinschaftsausstellung; unter diesen sticht jene mit Sonnenbrillen, mit ihrer unausweichlichen Anspielung auf die ironische und profanierende Entstellung der Gioconda durch Duchamp, besonders hervor. Gleichzeitig bezieht sich die daraus ergebende Veränderung auf eine weitere Zitate bemühende Semantik, auf die surreale und grotteske Welt des Arcimboldo, des lombardischen Künstlers des sechzehnten Jahrhunderts, der gerade in Wien triumphale Anerkennung fand.
Der Titel diesel kollektiven Wiener Schau scheint auf die Produktion dieser Künstlerin maßgeschneidert worden zu sein: „Haar“ — auch das Körperhaar mit einschließend. Unter allen ausgestellten Künstlern ist sie die einzige, und dies nicht erst jetzt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in diesem gemeinsamen Signifikant (Haar) beide Signifikate mit einer entschieden post-strukturalistischen Strategie zu vereinen. Alles entsteht aus einem Puzzle von Kontaminierungen ersten Ranges: Genau am Geburtsort der Psychoanalyse — und ausgehend von einem Gemälde wie „Der Ursprung der Welt“, das lange Zeit von Jaques Lacan besessen und verehrt wurde, dem Psychoanalytiker, der die Originalität des Freudschen Denkens „neu erfand“ — gelingt es der Poetik von Michela Ghisetti, zahlreiche Elemente ins Spiel zu bringen, die letztlich in einer ebenso verwirrenden wie unerwarteten Entblößung der durch Eros verkörperten Verführung münden.
Inmitten des Eröffnungsgeschehens haben wir Michela Ghisetti, die Künstlerin persönlich gebeten, uns den zweifachen, materiellen wie konzeptuellen Ursprung ihrer Inspiration zu enthüllen — um die Wahrheit zu sagen. Listig hat sie uns die Lösung verwehrt und geantwortet, dass sie diese diffuse Neugierde der Faszination des Betrachters überantwortet: „… auch und vor allem in diesem Verweis liegt der Sinn meiner Arbeit“. Eine Faszination jedoch, die einen Bruch erzeugt; ein traumatisches Interdikt, das sich nicht ausschließlich an die männlichen Reihen richtet. Nichts zu machen also mit dem Verdacht, wir selbst seien vom traumatischen Abgrund dieser Verführung verschlungen worden. In gewissem Sinn wurden wir an die Motivation verwiesen, die Giacomo Casanova in den Zeilen seines Meisterwerks durchblicken lässt, wenn er darüber nachdenkt, was ihn in den Strudel des weiblichen Universums eintauchen lässt. Nämlich, dass es nicht die Frau an sich ist, sondern der rätselhafte Widerschein seiner selbst: der unbezähmbare Instinkt, seine Neugierde zu befriedigen.
Franco Veremondi
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Gustave Courbet, "L'Origine du monde", 1866
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